Zu den Anforderungen an die Feststellung eines Entscheidungskonflikts nach fehlerhafter Patientenaufklärung (hypothetische Einwilligung)
Mit seinem Urteil vom 17.04.2007 -VI ZR 108/06- hat sich der BGH zur Darlegungs- und Beweislast bezüglich der hypothetischen Einwilligung des Patienten und den hierzu notwendigen Feststellungen durch das Instanzgericht geäußert.
In dem Fall war festzustellen, dass eine vollständige Aufklärung nicht gegeben war. Zwar hatte der Patient zuvor bereits Medikamente erhalten, die sogar ein höheres Risiko für den später eingetretenen Schaden begründeten, doch wies der BGH dieses Argument zurück, da der Patient „vor dem Einsatz eines neuen Medikaments über dessen Risiken vollständig aufzuklären war“ und die „Risiken der nunmehr vorgenommenen Behandlung nicht verrechnet werden“ können. Die Aufklärung war damit unvollständig, die Einwilligung irrtumsbelsatet und damit unwirksam.
Sodann bestätigte der BGH nochmals seine Rechtsprechung zum Einwand der hypothetischen Einwilligung:
- Der Einwand des Arztes, der Patient hätte in jedem Fall eingewilligt, ist in jedem Fall beachtlich; hierfür trägt der Arzt Behauptungs- und Beweislast.
- Das Eintreten der Beweislast setzt allerdings voraus, dass der Patient zur Übertzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er, wäre er rechtzeitig über die Risiken aufgeklärt worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, wobei an die Substantiierungspflicht zur Darlegung eines solchen Konflikts keine zu hohen Anforderungen gesteltl werden dürfen.
- Feststellungen darüber, wie der Patient sich verhalten hätte, darf der Tatrichter grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen; eine Ausnahme ist dann möglich, wenn schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Einwilligung erlauben (BGH Urt. v. 15.03.2005 -VI ZR 289/03 GesR 2005, 259).
Sodann präzisiert der Senat den rechtlichen Rahmen, in dessen Umfeld die Feststellungen zur hypothetischen Einwilligung vom Tatrichter zu beurteilen sind. Dabei berücksichtigt der Senat insbesondere die besondere Spannungslage aus dem Umstand, dass
- strenge Anforderungen an die hypothetische Einwilligung zu stellen sind,
gleichzeitig jedoch
- die Darlegung eines echten Entscheidungskonfliktes zu fordern ist, um einem Missbrauch des Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke vorzubeugen (BGHZ 90, 112).
Vor diesem Hintergrund hat der Tatrichter im Einzelfall zu beurteilen, ob ein echter Entscheidungskonflikt vorliegt.
Ist eine persönliche Anhörung des Patienten hierzu nicht möglich -wie im zu entscheidenden Fall-, so hat der Tatrichter zu prüfen, ob anhand der objektiven Umstände ein echter Entscheidungskonflikt eher fern, eine haftungsrechtliche Ausnutzung des Aufklärungsversäumnisses eher nahe liegt.
Die Entscheidung über den echten Entscheidungskonflikt kann nur aufgrund einer umfassenden Abwägung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles getroffen werden.
Beratertipp:
Der BGH hat mit dieser Entscheidung nochmals sehr plastisch das Wechselspiel der jeweiligen Darlegungs- und Beweislast aufgezeigt und gleichzeitig die Notwendigkeit einer umfassenden Prüfung nach Abwägung im Einzelfall betont.
- Auf Patientenseite ist darauf zu achten, dass der Entscheidungskonflikt sorgfältig vorgetragen und dabei auf tatsächliche Aspekte im Einzelfall abgestellt wird. Insbesondere ist der Eindruck einer missbräuchlichen Ausnutzung der Aufklärungsrüge zu vermeiden.
- Auf Behandlerseite darf der Einwand des Alternativverhalten des Patienten nicht vergessen werden, der dort eine nicht unerhebliche Darlegungslast auslöst, die in der Praxis von den Instanzgerichten allerdings nicht immer in dieser Strenge gefordert wird. Im Übrigen ist jedoch wieder einmal deutlich zu empfehlen, dass durch sorgfältig dokumentierte Aufklärungsgespräche die Thematik möglichst frühzeitig ausgeschlossen werden sollte, da die Beweislast im Ergebnis -jedenfalls nach schlüssigem Vortrag der Patientenseite- kaum zu tragen sein wird.